Das Weingut Melsheimer liegt im romantischen Reil an der Mosel und ist seit 200 Jahren in Familienbesitz. Winzer Thorsten Melsheimer stellte den Betrieb Mitte der 90er Jahre auf ökologischen Weinbau um, seit 2013 ist das Weingut demeterzertifiziert. Drei Viertel der Anbaufläche sind Steillagen, die Hälfte davon sogar Steilstlage.

Wie sehen Sie heute das Image des Mosel-Weins?

Das Image des Moselweins ist heute vollkommen unproblematisch, wenn man sich hier  in Deutschland bewegt. Es ist so, dass viele junge Leute an die Mosel kommen, die mit dem negativen Image, das wir 50jährigen noch im Kopf haben, überhaupt nichts mehr anfangen können. Das ist eine unglaublich gute Entwicklung für uns. Und im Ausland, wo die Mosel-Weine ja schon immer sehr aktiv waren, hatten wir sowieso nie ein Image-Problem.

Finden Sie es schade, dass sich die Weinkultur an der Mosel nahezu komplett auf den Riesling reduziert?

Ganz im Gegenteil. Es ist so, dass Riesling unser wichtigstes Produkt ist, und wenn man es aus Marktsicht betrachtet, macht es uns das ja relativ einfach die Region darzustellen, wenn man sich auf eine Rebsorte fokussiert. Außerdem kann man Riesling so vielfältig gestalten, dass das gar nicht so eindimensional ist, wenn man nur mit dieser Rebsorte arbeitet. Der einzige Grund vielleicht was weiteres zuzulassen, also so in meinem Kopf, sind pilzresistente Rebsorten, die es aber im Moment für die Mosel nicht gibt, wie ich sie mir wünschen würde.

Sie  experimentieren mit dem Riesling, haben einen weißen Port-ähnlichen Wein hergestellt. Liebhaberei oder ernsthaftes Weinprojekt?

Ernsthafte Liebhaberei. Man könnte es sicherlich ausbauen. Das merke ich immer wieder wenn ich das Produkt vorstelle! Die Leute sind total begeistert.. Ich sag dann immer ganz gerne „Kauf doch mal Port! Da hast Du viel Spaß mit!“. Aber das muss die Mosel nicht unbedingt machen. Das ist nicht unsere Tradition. Deshalb bleibt es wohl bei Liebhaberei.

Sie engagieren sich in der Winzergruppe “Der klitzekleine Ring”, die sich um den Erhalt der Steillagen bemüht. Wie kommt Ihr Projekt voran, haben Sie bereits Erfolge?

Vor 12 Jahren war es unglaublich wichtig, dass wir sowas gemacht haben! Besonders hier in der Region rund um Traben-Trarbach, die nicht die ganz berühmten Weinberge hat. Also ich denke mal Winzern in Bernkastel ist das nie so aufgefallen, wie knapp wir am Niedergang des Steillagenweinbaus vorbeigeschlittert sind. Hier in Traben-Trarbach war das ja Ende der 90er ganz massiv, wie sich 90% der Kollegen aus den Steillagen zurückgezogen haben. Einer der größten Erfolge ist, dass sich die Mainstream-Winzer wieder mit der Bewirtschaftung der Steillagenweinberge beschäftigen, und schön wäre es, wenn wir in 4, 5, 6 Jahren sagen könnten: die Mosel-Winzer haben verstanden, was uns besonders macht und was uns ausmacht.

Wie erklären Sie sich “Mosel-Steillagen-Riesling”, der für €5,99 bei einem bekannten Discounter angeboten wird? Ist das möglich?

Da gibt es im Prinzip zwei Sachen, die dort hinführen, also die das möglich machen. Grundsätzlich ist es die Definition von Steillagen, die hier das Problem ist, die wir in den 80er-Jahren festgelegt haben. Damals hatte es was mit der Mechanisierbarkeit zutun, dass man Lagen, die nur 35% Steigung haben, die heute selbstverständlich mit dem Schlepper befahrbar sind, heute offiziell Steillagen nennt. Und wenn man dann auch noch die Mengenregulierung voll ausschöpft und da 10.000l und mehr pro Hektar erarbeitet und strenges Kostenmanagement betreibt, ist es durchaus möglich, einen der Definition nach „Steillagen-Riesling“ für 5,99€ zu erzeugen. Ich habe sowas noch nicht probiert und möchte mir deshalb kein Urteil über die Qualität bilden. Wobei Qualität bei mir auch immer 2 Komponenten hat. Das eine ist der Geschmack und das andere ist die Prozess-Qualität, die mir mindestens genauso wichtig ist. Wahrscheinlich würde so ein Produkt bei mir durchfallen. Aber der Definition nach ist es möglich solch einen Wein herzustellen.

Sie haben vor Jahren von Bio-Bewirtschaftung auf Biodynamie umgestellt. Wo sind für Sie die entscheidenden Verbesserungen erkennbar?

Mit dem Erkennen, das ist immer so eine schwierige Sache. Dazu müsste man ja wissenschaftliche Untersuchungen und Versuche vornehmen und Dinge miteinander vergleichen. Ich habe ja meinen kompletten Betrieb auf Biodynamie umgestellt und bin sowieso seit 20 Jahren in einer stetigen Entwicklung. Man kommt schon häufig zu dem Punkt, an dem man Sachen nicht erklären kann, die ich dann gerne auf die Biodynamie schiebe. Zum Beispiel habe ich dieses Jahr ein unglaublich spätes Gelbwerden der Flächen, wo ich seit 20 Jahren keine Bodenbearbeitung mache, nicht dünge. Die stehen unglaublich saftig da. Aber ob das jetzt die Anpassung der Rebe durch 20 Jahre Nichtstun ist oder die vor inzwischen 7 Jahren eingeführte Biodynamie ist? Das ist so schwierig zu greifen. Für mich als Winzer ist das eine schöne Erfahrung sich mit solchen Dingen zu beschäftigen, auf Seminaren zu sitzen und so ein bisschen einen anderen Blick auf die Natur zu bekommen. Und mir einfach bewusster werde über mein Land, was ich mir anschaue.

Wie gelingt es in sehr niederschlagsstarken Jahren wie 2016 den Jahrgang zu retten ohne auf synthetische Hilfsmittel zurückgreifen zu können?

Da hatten wir in Juni natürlich richtig was zu tun. Haben aber auch ein unglaublich gutes Team. Wichtig war, dass wir das Niederschlagsradar immer im Blick hatten und wenn das gesagt hat, dass es in den nächsten 5 Stunden keinen Niederschlag gibt, dann sind wir rausgefahren zum Spritzen. Der Aufwand war Wahnsinn! Die Ergebnisse sind teilweise unglaublich gut. Wir haben in einigen Flächen einen Lohnunternehmer beauftragt. Die sehen auch noch ordentlich aus, aber lange nicht so gut wie die Sachen, die wir mit der Schlauchleitung selbst in der Hand hatten. Wo wir also wirklich immer wenns möglich war alles andere haben liegen lassen und sofort spritzen gegangen sind. Ich habe natürlich auch Flächen, wo wir die Hälfte Verlust haben, aber wir haben auch Flächen mit komplettem Behang. Die Erträge sind sehr schwankend und wenn ich sie an meinen Durchschnittserträgen messe, haben wir dieses Jahr Flächen, die deutlich über dem Durchschnitt liegen. Das war anstrengend, aber es war definitiv machbar.

Ist der massive Einsatz des letztlich erlaubten, aber nicht unbedenklichen Kupfers vertretbar?

Ich finde die Fragestellung nicht besonders gut, weil das Wort „massiv“ darin steckt. Der Einsatz von Kupfer ist auf ein unglaublich kleines Maß reduziert worden und wir arbeiten heute mit einem Zehntel der Konzentration wie vor 30 oder 40 Jahren, als in der konventionellen Landwirtschaft mehr mit Kupfer gearbeitet wurde. Wir haben heute 3 Kilo, dieses Jahr gab es eine Sonderregelung von 4 Kilo Kupferausbringung, aber man muss wissen, dass man früher mit 60-70 Kilo Kupfer gearbeitet hat. Deshalb ist das Wort „massiv“ eigentlich falsch. Dennoch muss man Kupfer diskutieren. Das Gute an Kupfer ist, dass wir wissen wie es funktioniert. Es ist ein Stoff aus der Natur, wir wissen, dass wir mit dem Stoff aufpassen müssen und es ist aber im Vergleich zu synthetischen Mitteln die deutlich bessere Alternative. Bei synthetischen Mitteln wissen wir eben nicht mehr was wir tun. Es ist ja so, dass wir die Unbedenklichkeit von synthetischen Mitteln vermuten. Die sind ja immer nur im ersten Abbauprodukt getestet, ob es für Mensch und Natur unbedenklich ist. Aber in welcher Weise Folgeerscheinungen durch Einsatz von Synthetics in der mikrobiologischen Welt auftauchen, wo wir wissen, dass sie Mutationen auslösen, da bewegen wir uns sofort in einem dunklen Raum.

Nur mal als Beispiel: vor 100 Jahren haben wir mit der Agrochemie und Industrialisierung in der Lebensmittelwelt mehr und mehr naturfremde Zusatzstoffe in unsere Nahrung aufgenommen, und wenn wir uns heute unsere westlichen, reichen Welten anschauen hat sich eine unglaubliche Allergierate entwickelt, die ist schon beängstigend. Aus medizinischer Sicht ist es mittlerweile auch wirklich klar, dass es am Einsatz der naturfremden Stoffen liegt. Also nochmal anders ausgedrückt: wenn wir mit synthetischen Mitteln arbeiten ist das immer nur eine Hilfe auf Zeit. Wir haben heute ein neues Mittel im Labor erfunden und in 20 Jahren wirkt es nicht mehr, weil die Pilzkrankheiten Resistenzen dagegen aufgebaut haben, was sie gegen Naturstoffe wie Kupfer und Schwefel noch nie getan haben. Wenn man weiß, dass die Pilzkrankheiten der Rebe mutieren, muss man davon ausgehen, dass die Mikroorganismen im noch wirklich sehr wenig erforschten Boden auch die Möglichkeit haben zu mutieren. Wir wissen bei Synthetics einfach nicht was wir tun. Deshalb doch lieber mit giftigen Stoffen in kleinsten Dosen arbeiten, wo wir genau wissen welche Auswirkungen er hat.

Sie gelten als Meister der langsamen Vergärung. Besteht in diesen langen Gärvorgängen nicht ein gewisses Risiko für das Steckenbleiben des Gärvorgangs, Verunreinigungen etc.?

Das Steckenbleiben der Gärung - darin liegt ja der Reiz der langsamen Gärung. Es ist ja gewünscht, dass die Weine stecken bleiben, irgendwann wenn es kalt wird im Winter und im Sommer springt die Gärung wieder an, wenn man das Fass voll macht, wenn es aufhört zu gären… Dann besteht keine Gefahr. Man muss natürlich einen Rahmen schaffen, damit nichts Doofes passiert. Ich mache das jetzt schon eine Zeit lang in Holzfässern, und bis jetzt ist noch nie ein Fass daneben gegangen. Ich sehe da überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil: Die Weine werden viel stabiler, weil sie so viel Oxidation erfahren. Klar hört man es immer wieder, dass es gefährlich ist. Vielleicht ist es auch, weil ich hier mit Riesling an der Mosel hantiere und nicht mit Weinen, die höhere pH-Werte haben. Ich denke mal: wenn man den Rahmen steckt und das Gebinde randvoll macht, sollte das überhaupt kein Problem sein.

Planen Sie das Naturwein-Experiment VADE RETRO in größerem Stil auszubauen? Glauben Sie an einen dauerhaften Markt für solche ungeschwefelten Weine?

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Markt dauerhaft bleibt. Ich denke mal, dass wir irgendwann in einer Größenordnung von 10% liegen werden. Bis dahin bin ich auch bereit dazu mitzugehen in meiner Produktion. Im Moment liegen wir da noch unter den 10% von solchen komplett unbehandelten Weinen, bzw additivfreien Weinen. Unbehandelte Weine ist nicht ganz richtig, ich habe ihn ja abgefüllt und gepresst. Aber der Markt wird bleiben, weil es immer mehr Menschen gibt, die komplett transparente Produkte fordern. Sei es in der Nahrung, wie auch bei den Getränken. Die Leute sind einfach müde immer wieder durch Halbwahrheiten veräppelt zu werden von der Nahrungsindustrie. Deshalb denke ich, dass sich der Markt noch weiter vergrößern wird.  

Verraten Sie uns die nächsten Pläne, neue Ideen?

Genaue Pläne gibt es noch nicht. Es ist unglaublich viel, an dem wir im Moment arbeiten. Der Erhalt von den Mauern im Weinberg und generell geht immer unheimlich viel kaputt, was man erhalten möchte. Das sind unglaublich viele Projekte, die es da gibt. Im Prinzip ist das schon eine Art Lebensaufgabe, die man sich gestellt hat und so nach 22 Jahren arbeiten im Weingut sind es einige Dinge, an denen man immer wieder arbeiten wird. Da ist nicht viel Neues dabei, aber auch viel, was nicht abgeschlossen ist.

Das Interview führte unsere Mitarbeiterin Lena Pollmann im Spätsommer 2016.