Großes Potential für Winzer mit gutem Feingefühl
Die Schattenseiten des Mainstream
Lange Zeit galt Chardonnay-Wein für viele Weintrinker als Inbegriff des banalen, gesichtslosen und auf Mainstream getrimmten Universalweins. Noch schlimmer in den Vereinigten Staaten, wo sich der Gegenwind sogar in einem Kürzel wiederfand: die ABC-Trinker (“anythink but Chardonnay”) bekannten sich dazu, alles zu trinken außer Chardonnay-Wein. Zum oft lieblos-wässrig bereiteten Massenwein ergab sich zudem durch seine Robustheit und Unkompliziertheit, dass er überall angebaut wurde, wo Wein wächst. Bis heute gibt es fast kein Weinanbaugebiet, wo nicht auch Chardonnay-Wein angebaut wird. Der internationale wirtschaftliche Erfolg der noblen Rebe wurde zugleich zur Bürde für die Zukunft.
Von nobler Herkunft
Dabei galt und gilt der Chardonnay international unbestritten als eine der nobelsten Weißwein-Rebsorten. Seit über 700 Jahren in ihrer burgundischen Heimat eine feste Säule der höheren Weinkultur, wurden seit jeher einige der besten Weißweine der Welt aus ihr gekeltert. Legendäre Lagen wie Montrachet, Meursault oder Corton-Charlemagne machten Chardonnay über viele Jahrzehnte zum Mythos, und auch in der Champagne ist er ein unverzichtbarer Cuvée-Partner der berühmten Schaumweine.
Enge Verwandtschaft zum Weißburgunder
Der Chardonnay gehört zu den Burgundersorten und wurde in einigen europäischen Ländern nicht oder kaum vom Weißburgunder unterschieden, welcher im Wuchs und in seiner Blattform sehr ähnlich ist. So geschah es immer wieder, dass Trauben, die eigentlich von Chardonnayrebstöcken stammten, als Weißburgunder deklariert wurden und auch als solche vermarktet wurden. Bis Anfang der 80er Jahre wurde zum Beispiel in Italien kein einziger Hektar Chardonnay-Wein offiziell erfasst. Gleichwohl wurden die Trauben unter dem Namen ‘Pinot bianco’ verarbeitet.
Nicht anders hierzulande: die ältesten Chardonnay-Rebbestände stehen seit Ende der 50er Jahre im Badischen und wurden jahrelang unwissentlich bei der örtlichen Genossenschaft als Weißburgunder eingebracht. Offiziell wurde Chardonnay-Wein erst 1991 für den Anbau in Deutschland zugelassen.
Ende der 70er Jahre besuchte der amerikanische Großwinzer Robert Mondavi Schloss Reinhartshausen im Rheingau. Er erkannte das Potential der Insel-Lage Mariannenaue als ideal für den damals in Deutschland noch nicht zugelassenen Chardonnay-Wein. Die anschließend erfolgten Anpflanzungen erfolgen dann ohne Genehmigung, wurden aber wenig später von Ampelographen der Forschungsanstalt Geisenheim entdeckt. Um die Anpflanzung nachträglich zu legitimieren, wurde damals die Chardonnay-Wein-Anlage in einen “Versuchsweinberg” umdefiniert.
Erst 2013, nachdem die Pfälzer Winzerfamilie Lergenmüller das Weingut Schloss Reinhartshausen übernommen hatte, wurde erstmals ein reinsortiger Chardonnay-Wein ausgebaut, wie ihn sich der seelige Robert Mondavi gewünscht hatte: im 500-Liter-Tonneau ausgebaut, mit langem Lager auf der Hefe. Geschmeidig und cremig am Gaumen gefällt er mit saftiger Säure und zeigt sein großes Potential. Der Charonnay-Wein wurde als Reminiszenz an Robert Mondavi “Thanks Bob” benannt und ist nur in Magnum-Flaschen verfügbar.
Die Weine von Ausnahmewinzer Andreas Stigler sind kein Mainstream: oft kommen sie erst ein Jahr nach der Ernte in den Verkauf. Sie haben durchgehend großes Lagerpotential und besitzen in jungen Jahren noch etwas Ecken und Kanten.
Bereits Anfang der 90er Jahre baute Andreas Stigler Chardonnay-Wein an und entwickelte über die Jahrzehnte ein feines Gespür dafür, wie er aus der burgundischen Sorte unter den besonderen Bedingungen des Kaiserstuhls eine ganz eigene Weinstilistik herausarbeiten kann. Angenehm hier: ausgebaut im großen Holzfass und dadurch sehr zurückhaltende Röstaromen.
Heute sieht auch sein Sohn Maximilian Stigler den Chardonnay-Wein als ‘vielversprechende Sorte für die Zukunft’ an.
Eine der spannendsten Weinguts-Neugründungen der letzten Jahre erfolgte 2010, als der wohlhabende Hamburger Bauunternehmer Günter Schulz in Geisenheim-Johannisberg ein Weinbau-Projekt mit Namen Chat Sauvage (“wilde Katze”) initierte. Er erwarb beste Lagen in Rüdesheim, Assmannshausen, Lorch und eben Johannisberg. Zudem setzt der frankophile Macher ausschließlich auf Spätburgunder - und Chardonnay-Wein. Zusammen mit seinem Kellermeister Michael Städter, der bereits im Burgund sein Handwerk verfeinern durfte, hat man sich zum Ziel gesetzt, Weine von herausragender Qualität im burgundischen Stil zu erschaffen.
Dass dies mit Pinot Noir im Rheingau möglich ist, haben renommierte Nachbarn bereits erfolgreich bewiesen. Erstaunlich sind jedoch die Chardonnay-Weine, die elegant, würzig und von gediegener Cremigkeit einen faszinierenden Puligny-Stil erreichen, der hierzulande kaum in dieser Finesse und perfekten Balance zu bekommen ist. Hier entsteht Großes!
Chat Sauvage ist somit zwar nicht das erste Weingut, dass sich dem Chardonnay-Wein widmet, aber kein anderes Weingut konzentriert sich im Weißweinbereich ausschließlich auf Chardonnay-Wein. Auch so geht Pionier!